Einführung in den NSU-Komplex


Einführung in den NSU-Komplex

Notwendiger Überblick über anti-demokratische Inlandsgeheimdienste, unkontrolliertes V-Mann-Unwesen, Nazi-Terror-Szene, rassistische Ermittlungen und Staatsversagen

Wir erinnern uns: Am 4. November 2011 ging in Eisenach ein Wohnmobil in Flammen auf. Darin wurden zwei Leichen gefunden, die offensichtlich vorher gewaltsam zu Tode kamen. Stunden später explodierte in der Zwickauer Frühlingsstraße eine Wohnung und brannte aus. In den folgenden Tagen rollte eine Lawine von ungeheuerlichen Erkenntnissen durchs Land: die beiden toten Männer in dem Wohnwagen waren Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, die Wohnung in Zwickau in Brand gesetzt haben soll Beate Zschäpe, die sich vier Tage nach Eisenach den Behörden stellte. Die Drei sollen der Kern einer neonazistischen Terrorbande mit dem Namen NSU gewesen sein.

Heute: Nachdem im Münchener NSU-Prozess nach langen Durststrecken im Juli 2017 endlich das Ende der Beweisaufnahme erreicht wurde, ist jetzt der Weg frei für Plädoyers und Urteil. Den Auftakt machte die Bundesanwaltschaft Mitte letzten Jahres an acht Verhandlungstagen und übertrifft mit ihrer kontrafaktischen Zusammenfassung noch die schlimmsten Befürchtungen, selbst wenn sie unerwartet harte Strafen fordert und die ideologischen Hintergründe der Angeklagten minutiös ausleuchtet.

Mit dem Beginn der Plädoyers der Nebenklage jedoch schlägt im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht (OLG) in München noch einmal die Stunde der Wahrheit: Mit brillanten und aufeinander abgestimmten Schlussvorträgen fächerten die Vertreter der Betroffenen des NSU-Terrors noch einmal den ganzen Skandal auf, den der „NSU-Komplex“ darstellt und zu dessen Aufarbeitung und Aufklärung der Mammutprozess auch nach mehr als 400 Verhandlungstagen und viereinhalb Jahren Laufzeit nicht eben viel beigetragen hat. Beantwortet sind die allerwenigsten Fragen vom Beginn des Prozesses, geklärt kaum eine der zahllosen, haarsträubenden Ungereimtheiten, die die Diskussion bestimmen. Gesellschaftliche und politische Konsequenzen spielen im Alltag vor Gericht und in den Parlamentarischen Untersuchungsausschüssen so gut wie keine Rolle.

Hinter dem Agieren des terroristischen NSU und seines wohl Hunderte Personen umfassenden Unterstützer*innen-Netzwerks öffnete sich das Panorama des wohl größten Geheimdienstskandals der Geschichte der BRD und eines unvorstellbaren behördlichen Rassismus in den Mordermittlungen. Gegen die Familien und das soziale Umfeld der Opfer und die Ermordeten selbst wurde über Jahre mit kruden Vorwürfen und rassistischen Anschuldigungen ermittelt. Für die betroffenen Familien eine bis zu einem Jahrzehnt währende Demütigung, ohne dass je auch nur ansatzweise Spuren ins Nazi-Milieu verfolgt worden wären. Wie weit staatliche Verstrickung in das Geschehen gegangen ist, ist bis heute nicht im Geringsten geklärt, im Gegenteil: ein beispielloser Vertuschungsskandal der unter Verdacht stehenden Behörden (Polizei, Inlandsgeheimdienst „Verfassungsschutz“, Bundesnachrichtendienst (BND), Militärischer Abschirmdienst (MAD) usw.) überschattet selbst die Aufklärungsbemühungen Parlamentarischer Untersuchungsausschüsse und des NSU-Prozesses vor dem Oberlandesgericht in München. Da werden Informationen vorenthalten und manipuliert, Akten geschreddert oder zurückgehalten und eine Aufklärung des Komplexes der Nazi-Informant*innen (sog. V-Leute) behindert. Viele ungeklärte Fragen und haarsträubende Ungereimtheiten sind nach wie vor offen. Welche nationalen Netzwerke mit dem und internationalen Verbindungen zum NSU nachweisbar sind, ebenso.

Immer noch nur verhalten und erst langsam artikuliert sich ein Aufschrei, der all das nicht mehr zu akzeptieren bereit ist und beginnt, eine öffentliche Diskussion der Skandale, des behördlichen und gesellschaftlichen Rassismus und der enormen Gefahren für das Gemeinwesen, die von den unkontrollierbaren (Inlands-)Geheimdiensten ausgehen, zu erzwingen. Einen großen Schub erfuhr diese öffentliche Skandalisierung etwa durch das „NSU-Tribunal“ in Köln im Mai 2017 mit seiner umfangreichen „Anklageschrift“. Zu dieser Diskussion soll auch die Veranstaltungsreihe als gesamtes beitragen, wozu uns der Vortrag von Fritz Burschel die notwendige Informationslage nochmal einleitend zusammenfasst.

Der Vortrag von Fritz Burschel findet am 19. April um 20:00 Uhr im Hörsaal 8 der Universität Bonn (Am Hof 1, 53113 Bonn, Hauptgebäude, 1. Stock) statt.

Fritz Burschel ist akkreditierter Korrespondent des nicht-kommerziellen Lokalsenders Radio Lotte Weimar im NSU-Prozess und Mitarbeiter von NSU-Watch. Seine Audio- und Printbeiträge zum Prozess und zum NSU sind auf dem Antifra-Blog oder auf der RLS-Homepage zu finden.

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