Betroffenenperspektive


In der Beschäftigung mit dem NSU-Komplex ist es elementar, die Betroffenen nicht als Statisten, sondern als Hauptzeugen des Geschehenen zu begreifen. Denn fast jeder weiß die Namen des Kerntrios und kann Berichte über das aktuelle Outfit der Hauptangeklagten lesen, aber wie viele Namen von Opfern und Betroffenen sind in weiten Teilen der Gesellschaft bekannt?
Um diesem Phänomen entgegenzuwirken, wollen wir Betroffene selber zu Wort kommen lassen und eine Plattform bieten, ihre Forderungen in die Öffentlichkeit zu tragen. Denn wie sollen solche Taten, wie sie im NSU-Komplex von verschiedenen Seiten begangen wurden, aufhören, wenn wir uns nicht mit Betroffenen und Opfern identifizieren?

Daher wird Ibrahim Arslan davon berichten, was er und viele andere Betroffene rassistischer und neonazistischer Gewalt erlebt haben, welchem schmerzvollen Weg die Betroffenen und Überlebenden nach einer solchen Tat ausgesetzt sind und das Ermittlungsansätze und Begrifflichkeiten wie Dönermorde, Bosporus-Ermittlungen und Zuhältermilieu nur ein Symptom eines strukturellen Problems sind. Anschließend liest und berichtet Antonia von der Behrens aus den kraftvollen und beeindruckenden Nebenklage-Plädoyers im NSU Prozess und beginnt damit auch eine Abrechnung mit dem gebrochenen Aufklärungsversprechen der Bundeskanzlerin. Denn die bohrenden Fragen der Betroffenen blieben bislang unbeantwortet:
Wie erfolgte die Auswahl der Opfer?
Wie groß war das an den Morden und Anschlägen beteiligte Unterstützernetzwerk?
Was wussten die Sicherheitsbehörden – insbesondere der Verfassungsschutz – und warum wurde seitens des Staates nicht eingegriffen?
Wie konnte der NSU überhaupt entstehen?

Der Vortrag mit Ibrahim Arslan und Antonia von der Behrens findet am 26. Juni um 18:00 Uhr im Hörsaal 17 der Universität Bonn (Regina-Pacis-Weg 5, 53113 Bonn, Ostflügel Hauptgebäude) statt.

Ibrahim Arslan überlebte als Kind den rassistischen Brandanschlag vom November 1992 in Mölln. Heute ist er Aktivist, Zeitzeuge und Widerstand leistender Betroffener, welcher die Gedenkkultur in Deutschland nicht so hinnehmen will. Daher engagiert er sich in verschiedenen Zusammenhängen gegen Rassismus und kämpft seit einigen Jahren mit anderen Betroffenen rassistischer, antisemitischer und antimuslimischer Gewalt um eine neue respektvolle Gedenkveranstaltung für Betroffene von Betroffenen.

Antonia von der Behrens ist Rechtsanwältin mit den Schwerpunkten Ausländerrecht, Asylrecht, Arbeitsrecht und vertritt die Nebenklage der Angehörigen des Dortmunder NSU-Mordopfers Mehmet Kubasik im NSU-Prozess in München.

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